Lieber Christian,
das ist ja ein ganz schönes Schlamassel, in das Du da hineingeraten bist. Dass Du Dich als Bundespräsident einmal wegen eines privaten Billig-Kredits verantworten musst, den Dir erst die Geerkens und dann die BW-Bank als sogenannter gehobener Kunde gewährt haben, hättest Du Dir wohl nie träumen lassen. Hättest Du nur nicht gelogen, als Dich 2010 die Grünen im niedersächsischen Landtag nach geschäftlichen Beziehungen zur Unternehmensfamilie Geerkens befragt haben. 500.000 Euro sind kein Pappenstil, weißt Du? Das kann man nicht mal eben so unter den Teppich kehren. Du hättest doch wissen müssen, dass das früher oder später ans Tageslicht kommt und ein gefundenes Fressen für Deine politischen Gegner ist. Dass Du Dich von den Verlockungen und Machtverstrickungen, die das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten mit sich bringt, hast hinreißen lassen, mag man ja noch als menschliche Schwäche auslegen, der vermutlich nicht wenige in einer vergleichbaren Situation erlegen wären. Was ich Dir aber übel nehme, ist die Art und Weise, wie Du mit der Wahrheit umgehst, welche die Medien zu Tage gefördert haben. Du tust es wie ein kleiner Junge, der seinen erbosten Eltern gegenüber nicht eingestehen möchte, dass er einen Fehler gemacht hat. Statt alle Karten offenzulegen, rufst Du bei Diekmann an und drohst mit Bruch, sollte er die Geschichte über Deinen vergünstigten Privatkredit veröffentlichen. Hast Du wirklich geglaubt, die Presse lässt sich von ein paar Drohgebärden – selbst wenn Sie vom Bundespräsidenten höchstpersönlich kommen – in die Schranken weisen? Hast Du noch nie von dem Sprichwort gehört „Getroffene Hunde bellen“? Dir hätte doch klar sein müssen, dass ein solches Verhalten die „Jetzt erst recht“-Mentalität der Journalisten weckt. Egal, was Du tust, und wenn Du Dich auf den Kopf stellst – die Wahrheit wird ans Tageslicht kommen. Stück für Stück. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und wenn alle schmutzige Wäsche gewaschen ist, dann werden wir einen Bundespräsidenten mit ramponiertem Ruf haben, ein weiteres jämmerliches Beispiel für einen Politiker-Typ, der glaubt, er kann aufgrund seiner hohen Ämter und seiner ihm dadurch in die Arme fallenden Beziehungen, nach Belieben persönliche Vorteile mitnehmen, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. Ein solches Verhalten ist nicht nur unwürdig für einen Bundespräsidenten, es ist Wasser auf die Mühlen all der Politikverdrossenen, die sich in ihren Vorurteilen von der schamlosen Selbstbedienungsmentalität deutscher Politiker und den unheilvollen Verstrickungen zwischen Wirtschaft und Politik bestätigt sehen. Mit der Vorteilsnahme im Amt, aber erst recht mit Deinem dilettantischen Krisenmanagement hast Du dem Ansehen des von Dir bekleideten Staatsamtes und der Glaubwürdigkeit in die Politik einen Bärendienst erwiesen. Als hätte es die Affäre von Guttenberg nie gegeben. Auch der Schummel-Doktor hat bis zuletzt abgestritten, was immer offensichtlicher wurde. Wie die Geschichte ausging, wissen wir. Die wahnwitzige Gleichung „Ich bin schuldig, aber ich lüge, bis man mir das Gegenteil nachweist“ hat ihn von der bundesrepublikanischen Politikbühne gefegt. Wir alle wissen: Macht korrumpiert, und wer hat, dem wird gegeben. Das war schon immer so, und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Die Mächtigen vergessen in ihrer medial hochgejubelten Selbstverliebtheit nur all zu gerne, dass sie eine Vorbildfunktion haben, dass es gewisse moralische Erwartungen an sie gibt und dass sie der Öffentlichkeit nicht einfach ein X für ein U vormachen können. Fehler kann man machen, an die Grenzen des Moralisch und Legalen kann man gehen. Man darf sich dabei halt nicht erwischen lassen. Und wenn man erwischt wird, dann sollte man Manns genug sein, Charakter zeigen und den Schneid haben, seine Verfehlungen einzuräumen. Aber in der deutschen Politik scheint die Tugend des selbstkritischen Umgangs mit dem eigenen Tun nicht sehr ausgeprägt zu sein, und so wird der in aller Öffentlichkeit vorgeführte rückgratlose Eiertanz unserer höchsten Repräsentanten beschämenderweise weiterhin zur Aushöhlung demokratischer Strukturen führen. Das reflexartige Bestreben, der Presse einen Maulkorb zu verpassen, spricht für ein in Politikkreisen weit verbreitetes gestörtes Presseverständnis, das zum Ziel hat, die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen und die Wahrheit mit allen Mitteln zu unterbinden, um die eigene Machtposition zu verteidigen. Dass selbst der Inhaber des höchsten deutschen Staatsamtes ein solch absolutistisches Gebahren an den Tag legt, lässt den politikinteressierten Bürger fassungslos und mit einer Menge Wut im Bauch zurück.