Amerikas schizophrene Liebe für Waffen

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Amerikas Bevölkerung rüstet auf. Am 14. Dezember wurden an der Grundschule Sandy Hook in Newton 20 Kinder und 5 Lehrer erschossen, ein Aufschrei ging durch das Land, Präsident Obama kündigte unter Tränen strengere Waffengesetze an, aber in der Vorweihnachtszeit kauften die Leute Waffen wie blöde. Nach Angaben des FBI sind in allen Bundesstaaten die gesetzlich vorgeschriebenen Zulassungsprüfungen um fast 50 Prozent im Vergleich zu Dezember 2011 gestiegen. Ausgerechnet die in die Kritik geratenen Sturmgewehre wie das Bushmaster AR-15 waren laut Nachrichtenagentur Bloomberg vielfach ausverkauft. Es ist diese schizophrene Logik, die Wayne LaPierre, der Vizevorsitzende der National Riffle Association (NRA) auf den Punkt bringt, wenn er mit dem ihm eigenen patriotistischen Sarkasmus sagt: „Das einzige, was einen bösen Kerl mit einer Waffe stoppt, ist ein guter Kerl mit einer Waffe.“ Dazu passt die Forderung der Waffenlobby, zum Schutz vor zukünftigen Amokläufern Kindergärten und Schulen mit bewaffneten Wächtern auszustatten. Es ist schon bezeichnend für eine Gesellschaft, dass nicht einmal ein durchgeknallter 20-Jähriger mit seiner Wahnsinnstat die verhängnisvolle Liebe der Amerikaner zu ihren Waffen zu pulverisieren vermag. Stattdessen greift eine reflexartige Denkweise, die zwangsläufig höhere Wogen der Gewalt nach sich ziehen wird: Nicht schärfere Waffengesetze, die den Zugang zu Waffen begrenzen, können zur Lösung des Problems beitragen, sondern nur noch mehr Waffen. Das ist Wildwest-Romantik pur. Ins kollektive Unterbewusstsein eingebrannte Outlaw-Verehrung, die herrührt aus einer Zeit, als sich Cowboys mit rauchenden Colts noch gegenseitig mitten auf der Straße über den Haufen schossen. Gesetzlich verankertes Recht zur Selbstjustiz, das – trotz zigtausender bundesstaatlicher und lokaler Waffengesetze – laut zweitem Zusatzartikel zur Verfassung jedem Amerikaner den Besitz einer Waffe ausdrücklich erlaubt. Die Folgen werden wohl auch nach dem Amoklauf in Newton in Kauf genommen: 1372 Schießereien gab es im vergangenen Jahr alleine in New York (Zum Vergleich: in ganz Deutschland waren es laut statistischem Bundesamt nicht einmal 350). Über 400 Personen kamen seit Newton durch Schusswaffen ums Leben, darunter zwei Zweijährige und ein dreijähriges Kind, die vor Weihnachten mit ungesicherten Waffen herumspielten. Wie viele Kinder müssen eigentlich noch sterben, bis die Politik in Amerika daran geht, den Zugang zu Waffen ernsthaft zu beschränken? Den Missbrauch von Schusswaffen zu bekämpfen, indem man noch mehr Waffen in Umlauf bringt, ist so, wie wenn man ein Feuer löschen möchte, indem man einfach noch ein paar Holzscheite nachschiebt. Das mag der mächtigen US-Waffenlobby weitere Milliarden in die Kassen spülen, es erhöht aber auch gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit für den nächsten Amoklauf. Erst im Juli 2012 hatte ein Student in Aurora (Colorado) in einem Kino zwölf Menschen erschossen und weitere 58 verletzt – mitten im US-Wahlkampf. Die beiden Kandidaten Obama und Romney reagierten entsetzt, das Thema wurde aber nicht weiter vertieft – wohl aus Angst vor der einflussreichen NRA-Waffenlobby. Auch nach dem bislang schlimmsten Amoklauf  in den USA, bei dem am 16. April 2007 an der Universität Virginia Tec 33 Studenten ums Leben kamen, ging man ziemlich schnell wieder zur Tagesordnung über. Präsident George W. Bush wies in einer ersten Stellungnahme gleich mal darauf hin, dass jeder Bürger Amerikas das Recht habe, eine Waffe zu tragen. Gleichwohl müssten alle die Gesetze beachten. Der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain blies ins gleiche Horn. Damit war das Thema zumindest auf der politischen Ebene erledigt. Und Obamas angestrebtes Verkaufsverbot von Sturmgewehren und Handschnellfeuerwaffen ist ja nur ein erster zaghafter Versuch. Das grenzt zumindest die Gefahr schwerster Schussverletzungen bei zukünftigen Amokläufen ein, lässt aber die bereits jetzt schon in Privathaushalten eingelagerten Exemplare dieser Waffengattung genauso außer Acht wie die Tatsache, dass sich jeder 18-Jährige auch weiterhin nach Belieben mit anderen Waffen und Munition in unbegrenzter Menge eindecken kann. Das ist für die Eindämmung des Gefahrenpotenzials durch Amokläufer genauso sinnlos wie die Herstellung von schusssicheren Schulranzen und Spieldecken, die seit der Newton-Tragödie reißenden Absatz finden. Das gaukelt eine Sicherheit vor, die im Ernstfall einfach nicht existiert. Ohnehin greift ein bloßes Verbot zu kurz. Kurioserweise kommt es laut FBI Crime Report in Gegenden mit strengeren Waffengesetzen zu mehr Straftaten als in solchen mit laxen Bestimmungen. Ein Verbot greift auch deshalb zu kurz, weil es die Täterprofile völlig außer acht lässt. Nicht jeder, der eine Waffe besitzt, wird automatisch zum Täter, schon gar nicht zum Amokläufer. Aber es gibt Einflüsse im persönlichen Umfeld, die als Indizien für Sozialprognosen ab dem frühen Kindesalter herangezogen werden können. Ein engmaschiges Netzwerk aus Kinderärzten, Jugend- und Polizeibehörden, aber auch Pschologen in Kindergärten und Schulen sollte dazu in der Lage sein, auffällige Jugendliche zu identifizieren und – notfalls per gesetzlicher Anordnung – dafür Sorge zu tragen, dass ihnen jeglicher Zugang zu Schusswaffen verwehrt bleibt.  Aber solange kein Umdenken stattfindet, solange sich die privaten Haushalte nach jedem Amoklauf reflexartig weiter aufrüsten, weil sie glauben, sich dadurch besser schützen zu können, solange Eltern ihre Kinder, bevor diese überhaupt in der Lage sind, eine Waffe größeren Kalibers zu halten, auf den nächstbesten Schießplatz schleifen, solange bleibt auch jeder Gesetzesvorstoß zum Scheitern verurteilt. Dass Amerika noch weit von diesem Umdenkungsprozess entfernt ist, zeigt die Tatsache, dass just nach dem Amoklauf von Newton mit „Red Dawn“ ein Action-Film in die US-Kinos kam, in dem die patriotistische Waffenverherrlichung im Kleinstadtkampf gegen nordkoreanische Invasoren bis zum Exzess zelebriert wird. Das Ganze mag cineastisch wohl perfekt inszeniert sein, gesellschaftlich ist diese Gewaltorgie zur Unzeit äußerst fragwürdig. Und es ist leider kaum vorstellbar, dass dieser Film aus Betroffenheit über die Ereignisse an der Sandy-Hook-Grunschule ein Flop an den Kinokassen wird. . .