Widerstand gegen ACTA – das Internet schlägt zurück

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Widerstand gegen ACTA – das Internet schlägt zurück

Spätestens seit dem Auftauchen der Piratenpartei in Deutschland wissen wir: Im Internet oder besser gesagt rund um den Streit um Zugriffs-, Filesharing-, Datenschutz- und Urheberrechte hat sich eine neue politische Bewegung gebildet, die mit aller Macht auch das wirkliche politische Leben zu beeinflussen beginnt. Über 19.000 Mitglieder in Deutschland für die Piraten sind respektabel, in der Gunst der Wähler gewinnen die Verfechter von persönlichen Freiheitsrechten, Datenschutz und Privatsphäre immer mehr an Boden, besetzen auf kommunaler Ebene mittlerweile über 150 Mandate und zogen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September 2011 erstmals in ein Landesparlament ein. Wenn morgen Bundestagswahl wäre, könnten die Piraten laut neuesten Umfrageergebnissen mit bis zu 9 Prozent rechnen. Das Internet schlägt zurück. Zunehmende staatliche Regulierungsbestrebungen, die unter dem Deckmantel des Schutzes von geistigem Eigentum und des Kampfes gegen illegale Produktpiraterie auch persönliche Datenschutz- und Freiheitsrechte im Internet tangieren, stoßen auf erheblichen Widerstand der Web-Community. Die feiert mit den „Hacktivisten“ von Anonymous, die zuletzt die CIA-Webseite lahmlegten, nicht nur ihre eigenen Helden, sondern ist mittlerweile so gut vernetzt, dass es gelingt, an einem einzigen Stichtag weltweit rund 200.000 Demonstranten gegen das Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen ACTA zu mobilisieren. ACTA, das ja mit dem Verbot und der strafrechtlichen Verfolgung vom Handel mit Plagiaten durchaus sinnvolle Ansätze enthält, greift nach Meinung vieler Kritiker zu sehr in die Privatsphäre der Internet-Nutzer ein, indem es die wirtschaftlichen Interessen der Musik- und Film-Industrie einseitig stärkt und beispielsweise Zollbehörden weitreichende Befugnisse bis hin zu anlasslosen Durchsuchungen und Beschlagnahmungen von MP3-Playern von Privatreisenden erlaubt. Völlig unabhängig von der Art der Nutzung räumt ACTA einem Konzern die Möglichkeit ein, den Internetprovider, über den er seine Produkte auf einer Tauschbörse anbietet, anzuweisen, bestimmten Kunden den Zugang zu sperren. Für die Verfechter der Web-Anarchie sind solche Eingriffe in die Privatsphäre ein Akt der Provokation. Und in der Tat ist nicht einzusehen, warum jeder Nutzer, der zukünftig in einer Tauschbörse registriert ist, strafrechtliche Konsequenzen befürchten muss. Die Vertreter der Musik- und Filmindustrie, deren konzertierter Lobbyismus ein Abkommen wie ACTA ja überhaupt erst zustande kommen ließ, machen es sich da etwas zu einfach. Statt in ihrem gemeinsamen Abwehrkampf ein internationales Regelungsmonstrum zu erschaffen und die privaten Internetnutzer mehr und mehr an den Rand der Illegalität zu treiben, sollten sie lieber überlegen, wie man Online-Tauschbörsen zu vernünftigen Konditionen als kommerzielle Angebote betreiben kann. Es ist davon auszugehen, dass der überwiegenden Mehrheit der Tauschbörsianer ein legales, kostenpflichtiges, qualitativ einwandfreies und sauberes Portal lieber wäre als ein frei zugängliches, wo man in der Regel Abstriche bei Qualität und Sicherheit machen muss und ständig mit der Ungewissheit leben muss, ob das denn nun erlaubt ist oder nicht. Und die Frage darf an dieser Stelle schon erlaubt sein: Wieso schaffen es die Konzerne nicht, eine solche Plattform im Internet bereitzustellen? Wieso greifen hier nicht die alten Marktregeln von Angebot und Nachfrage zum beiderseitigen Nutzen? Der Widerstand gegen ACTA – Deutschland hat das Abkommen ja noch nicht unterschrieben – zeigt jedenfalls eines: Das einseitige Durchdrücken von wirtschaftlichen Interessen ist mit der Internetgemeinde nicht zu machen. Diese muss mehr und mehr als eine ernstzunehmende Größe gesehen werden, deren Schlagkraft und Macht proportional zur stärkeren Vernetzung über die sozialen Netzwerke zunimmt. Dass dem Internet per se eine demokratische Kraft innewohnt, hat im vergangenen Jahr der „Arabische Frühling“ gezeigt, der – mit ausgelöst durch freiheitskämpferische Oppositionsströmungen im Internet – eine ganze Reihe von Diktaturen im Nahen Osten weggefegt hat. Das Internet ist erwachsen geworden und beginnt, ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Staaten und Industriekonzerne sollten sich darüber klar werden, dass man langfristig nur mit dem Netz spielen kann – nicht gegen es. Wer mit bürokratischen Überregulierungen den Freiheitsdrang der Netzgemeinde zu strangulieren versucht, muss mit geballtem Widerstand rechnen. Die Aktivisten von „Anonymous“ sind nur eine Ausprägung dieser Protestbewegung. Ihre Angriffe auf Internetseiten staatlicher Behörden sollten aber nicht allein dem Selbstzweck und der Schadenfreude dienen, sonst untergraben sie ihre eigene Legitimation (im Sinne eines virtuellen Robin Hood oder Zorros, der unerkannt für Datenschutz und Freiheitsrechte im Internet kämpft) und schaden der Sache, indem sie massive Gegenmaßnahmen von behördlicher Seite provozieren. Die strafrechtliche Verfolgung der kino.to-Betreiber, der internationale Abwehrkampf gegen die Online-Enthüllungsplattform WikiLeaks oder zuletzt die Inhaftierung von Megaupload-Gründer Kim Schmitz  sind deutliche Hinweise, dass der Staat über seine polizeilichen Ermittlungsbehörden immer konsequenter daran geht, Recht und Ordnung auch im Internet durchzusetzen.